Text: Christian Dinse für Franzi
Veröffentlicht: im Buch »Interpretation« (2018)
Am Anfang ist es jedes Mal ein kleines Abenteuer auf das man sich einlässt, wenn man Gedanken im Kopf sammelt und den Entschluss fasst, einen Stift zu nehmen, um sie aufzuschreiben.
Im Laufe der Zeit lernt man die Bilder der Welt in Buchstaben zu verwandeln und aus Alltagsmomenten kleine Episoden zu machen, ohne den Charme der Situation zu verfremden. Leider lernt man auch zu vergessen, den realen Zeitpunkt zu genießen.
Ich ertappte mich oft dabei, abwesend zu sein und den Schwerpunkt eines Augenblicks wie durch Nebel zu erfassen, weil im Kopf bereits die Sätze zur Beschreibung der Szene entstanden, die unbedingt festgehalten werden wollten.
Ich ertappte mich oft dabei, nicht einfach in den Tag zu leben und die Woche nicht einfach Woche sein zu lassen, oder den Arbeitstag nicht einfach als notwendiges Übel zu sehen.
Im Dämmerlicht saß ich oft stundenlang vor einem Blatt Papier, trank erst Wein, dann Bier, zog an Zigaretten oder den Fäden der Jalousie um frische Luft und Sternenhimmel als Inspiration oder wenigstens eine verirrte Fliege als Muse ins Zimmer zu lassen.
Ich ertappte mich oft dabei, nicht einfach in den Tag zu leben, nicht einfach da gewesen zu sein, wenn jemand sagte es wäre schön und passend. Nicht da gewesen zu sein, wenn nachmittags Schule war. Nicht da gewesen zu sein, wenn Not am Mann war.
Ich bewertete alles, saugte alles auf und winkte oft gedankenverloren und griesgrämig, kleinlaut oder sarkastisch ab, wenn mir eine Frage gestellt wurde.
»In trüben Gewässern fischen« hat mal einer als Antwort bekommen, als er andere fragte, wie das wohl sei, sich mit mir zu unterhalten. Die Wahrheit öffnet einem manchmal die Augen, auch wenn man das nicht sofort erkennt.
Es ist ein Mittwoch gewesen, der mich dazu brachte zu behaupten: »Probleme gibt es keine, höchstens überbewertete Situationen. Beleidigungen gibt es keine, höchstens missverstandene Worte. Ängste gibt es keine, höchstens übertriebene Gedanken. Mich als lachenden Mensch gibt es nicht, höchstens an anderen Tagen.«
Das alles war vor der Zeit im Frühling nach der Jahrtausendwende, der zuerst nicht besonders warm war, aber im Laufe sehr herzlich und wichtig wurde. Mich veränderte, verstehen lehrte, Vernunft erschuf und meine Lebensweise und Einstellung positiv beeinflusste.
Es war ein Mittwoch.
»Angenehm, einfühlsam, charismatisch, traumhaft, ehrlich, freundlich, geheimnisvoll, herrlich, intelligent, jung, krisenstark, lieb, wertvoll, nachdenklich, witzig, umgänglich, romantisch, speziell, traumhaft, schön, verständnisvoll, wichtig und zauberhaft.«
23 Worte für die Königin. Die Königin, die mich aus dem Sumpf der trostlosen Traurigkeit befreit hat und mit ihrem Dasein und ihrer grandiosen Fähigkeit für Aufheiterung dafür gesorgt hat, mich zu dem zu machen, der ich heute bin. Wie ich heute bin.
Es war ein Mittwoch.
Am Abend nach einem langen Tag erzählte sie mir von ihrem Plan fürs Studium. Sprach von ihrem Umzug, ihrer ersten eigenen Wohnung und ihrer Freude über die Sonne die da war, als sie mit einer Freundin einen Ausflug machte.
Sie erzählte überschwänglich lustige Geschichten und wie sie beide lachten und wie besagte Freundin in Gedanken fast gegen eine Straßenlaterne gelaufen wäre.
Es war schön sie so zu erleben, die Spannung und das Knistern, die uns den Sommer begleiten sollten. Es war schön sie zu motivieren, weil sie mich motivierte.
Ihr Meerschweinchen, sagte sie, mache seinem Namen alle Ehre und fügte wie beiläufig hinzu, »wenn du etwas tun willst, was du immer tun wolltest – und du hast die Chance dazu – dann tu‘ es.«
Es war wieder ein Mittwoch, als sich überraschend ihre Schwester bei mir meldete und sagte: »es tut mir leid, Franzi ist am Sonntag gestorben.«